Autor und Illustration: Bernadette (Künstlername; eigentlich Bernadette Watts); Verlag: NordSüd; Altersempfehlung: ab vier Jahre; Erscheinungsjahr: 1971; Jahr der Ausgabe: 2022 (19. Auflage); Seiten: 32; Einband: gebundes Buch; erhältlich bei Amazon, Genialokal und Orell Füssli (affiliate Links)
Bernadettes „Varenka“ ist ein Kinderbuch über Krieg und Zivilcourage, über Angst und Zuversicht und über die Kraft des Gebetes.
Bernadette erzählt in „Varenka“ eine alte russische Legende über eine verwittwete Frau, die unter den Drohungen und Ängsten eines Krieges Zivilcourage zeigt und anderen einen Ort der Zuflucht schenkt, obwohl sie sich dabei selbst in Lebensgefahr bringt.
Varenka ist glücklich in ihrem bescheidenen Haus im Wald. Doch dann kommen Flüchtlinge aus dem Westen, welche von einem furchtbaren Krieg berichten. Fliehen solle sie, sonst sei sie verloren. Doch Varenka stellt fest: Sie kann nicht fliehen. Sie kann nicht weggehen und ihr Zuhause verlassen: „Wer wird die müden Wanderer stärken, wenn ich mit euch komme? Wer nimmt sich der Kinder an, die sich im Wald verirren? Und wer wird sich um die Tiere und Vögel kümmern, wenn der Winter kommt, mit Eis und Schnee? Nein, ich muss bleiben.“
Varenka bleibt und betet. Und zu ihr finden die Menschen und Tiere, die verlorenen und verirrten, die hungrigen und angsterfüllten. Ein alter Mann, ein junger Mann, ein Kind. Alle tragen sie ihre eigenen, entwurzelten Schicksale: Wer ist der junge Mann, der vor den Soldaten flieht? Flieht er vor dem Feind? Flieht er vor den eigenen Leuten, die ihn zurück in den Kriegsdienst zwingen wollen? Das bleibt unbeantwortet. Klar ist, dass er um sein Leben rannte und vor den Soldaten floh.
Die Soldaten sind selbst wurzellos. Gesichtslos. Woher kommen sie? Woher gehen sie? Das alles bleibt unbeantwortet. Der Soldat steht hier nur als Quelle der Angst. Er tötet und er zerstört. Man weiß nicht, warum. Man kann nicht reden. Man kann nur fliehen oder sich verstecken.
Jeden Abend betet Varenka gemeinsam mit ihren Flüchtlingen zu Gott. In ihrer Angst und ihrer Not verbunden, aber auch in ihrer Hoffnung und Zuversicht. „Gott, bitte, baue eine Mauer um unser Haus, damit die Soldaten uns nicht sehen können!“ Die Religion ist für Varenka Quelle der Kraft und Zuversicht.
Die Stellung der Religion in Varenkas Leben wird schon auf der ersten Seite hervorgehoben: In dem einfachen, fast kargen Zimmer, finden sich nur wenige Gegenstände: Das Nötigste, was Varenka zum Überleben braucht. Unter diesen Gegenständen findet sich auch eine Ikone, eine Darstellung einer heiligen Figur, und Bernadette stellt sie in ihrer Illustration als Bild der Maria mit ihrem Kind dar.
Wäre Varenka auch ohne ihren Glauben an Gott geblieben? Ist diese Geschichte eine rein religiöse Geschichte über die Kraft des Gebetes? Ja und Nein. Ja, denn die Geschichte zeigt den Kraft des Glaubens, der hier ein christlicher Glaube ist. Die Liebe und Zuversicht zu Gott, die Varenka bleiben lässt und zu einem Ort der Zuflucht für andere werden lässt. Aber vielleicht auch nicht: Denn woraus die Menschlichkeit entspringt ist vielleicht nicht wichtig für die Geschichte. Vielleicht ist sie religiös begründet, vielleicht liegt sie im Glauben an eine Pflicht, vielleicht liegt sie in dem tiefen Glück, anderen zu helfen, die in Not sind.
Varenka ist ein Ort der Menschlichkeit in einem tosenden Krieg. Sie kämpft gegen den Krieg. Nicht von außen, sondern von innen. Sie zeigt, dass auch hier, inmitten des Wütens einer zerstörerischen, alles umgreifenden furchteinflössenden Macht die Menschlichkeit bleibt. Das, was den Menschen auch ausmacht, neben Krieg und Machtstreben, Zerstörungswut und Rache: Das Mitleid, die Treue, die Liebe zu den anderen. Dass man da ist, wenn andere einen brauchen, auch wenn es einen selbst benachteiligt, verletzt, vielleicht sogar zerstört.
„Varenka“ ist ein aktuelles Buch. Es herrscht Krieg. Hunderttausende Menschen sind direkt in diese Kriege involviert. Millionen betroffen. Auf allen Seiten verlieren alte Männer ihr Zuhause, rennen junge Männer um ihr Leben, verlieren junge Mädchen auf der Flucht ihre Eltern, in panischer Angst, sie nie wieder zu sehen. Aber überall gibt es auch Varenkas. Die Menschlichkeit, die da bleibt, wenn alles verloren scheint. Wenn man doch nicht schießt. Wenn man die Tür öffnet und anderen Zuflucht bietet. Zu Hause. Oder im Gespräch. Wenn man das Leid sieht und da bleibt.
Bernadettes „Varenka“ kann unter den folgenden affiliate Links bestellt werden: Amazon, Genialokal und Orell Füssli.